Vier Tage auf der Suche nach Spuren der Vergangenheit

Eine kurze und intensive Reise nach Israel liegt hinter uns: Thorsten Trautwein, Schuldekan der Kirchenbezirke Calw-Nagold und Neuenbürg, flog mit mir am vergangenen Samstagabend in Zürich los. Wichtigster Anlass des Kurztrips war der Besuch bei Mordechai Papirblat, dessen Namen wir vor einigen Jahren für unser gemeinsames Projekt gewählt hatten: »Papierblatt – Holocaust-Überlebende berichten«.

Nach Nachtflug und Zugfahrt kamen wir am Sonntag pünktlich zum Frühstück in Maalot an, wo unsere Freunde von Zedakah ein Pflegeheim für Holocaust-Überlebende betreiben.

Rachel M., eine Bewohnerin, erzählte uns und der Kamera ihr bewegendes Schicksal. Wir werden das Interview für www.papierblatt.de aufbereiten.

Danach fuhren wir nach Kapernaum, wo wir Fotos und Filmaufnahmen für ein Fortbildungsprojekt des Schuldekans machten.

Entlang des Sees Genezareth ging es zum Kibbuz Gesher: Dort lebte Mordechai Papirblat nach seiner Ankunft im heutigen Israel 1946 für ungefähr ein Jahr. Die Ruinen des ursprünglichen Kibbuz direkt am Grenzzaun zu Jordanien sowie ein unterirdischer Bunker zeugen von den Spannungen, die damals vor und nach der Staatsgründung das Leben und die Existenz der Neuankömmlinge bedrohten. Im Archiv am heutigen Standort des Kibbuz forschten wir nach Bildern und Informationen – und tatsächlich fand sich die Registrierungskarte Mordechai Papirblats mit Foto in einer alten Holzbox.

Zurück in Maalot, wegen Straßensperrung am Berg Tabor vorbei, freute ich mich nach 37 Stunden wieder mal auf ein richtiges Bett.

Am Montag fuhren Gideon Bayer zusammen mit Thorsten und mir nach Süden, zum eigentlichen Anlass der Reise: Einem Besuch bei Mordechai Papirblat.

Zwischenstop machten wir in Atlit, dem Auffanglager, in dem er nach seiner Ankunft im damals britischen Mandatsgebiet zunächst als »illegaler Einwanderer« festgehalten wurde. Wenige Monate nach dem Holocaust erlebte er erneut ein Leben hinter Stacheldraht, mit Sammelduschen und Desinfektionsanlagen. Die Baracken waren allerdings relativ bequem eingerichet, man hatte persönliche Gegenständen und keine ständige Angst vor dem Tod wie in den deutschen KZs.

Im Gespräch mit einer Verantwortlichen der heute für Besucher offenen Gedenkstätte bekamen wir Einblicke in die Fluchtbewegungen der Juden aus Europa, Thorsten Trautwein forschte weiter, während ich unter Zeitdruck noch etliche Bilder vom Lager machte.

Mit einer halben Stunde Verspätung kamen wir in Ramat Gan an und wurden von Mordechai und seinem Sohn Zvi Papirblat herzlich empfangen. 4,5 Stunden lang dauerte der Besuch und die Zeit verging wie im Flug. Thorsten, der sich intensiv mit der Lebensgeschichte Mordechais befasst hatte, stellte viele Fragen über die Zeit vor und nach dem Krieg. Über die Details also, die normalerweise in den Lebensberichten (siehe hier und hier) nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Beeindruckend, an wieviele Details sich der 96-Jährige noch erinnern kann. »Es gedenkt mir noch«, sagte er immer wieder in seinem besonderen Deutsch-Jiddisch. Meist konnten wir uns sehr gut mit ihm direkt unterhalten, nur hin und wieder erklärte ihm Gideon Bayer die Fragen auf Hebräisch.

Zvi gab Einblicke in die Familiengeschichte – eine sehr kleine Familie, ohne Onkel, Tanten, Nichten, Neffen. Denn Mordechai war der einzige aus seiner ganzen Verwandtschaft, der den Holocaust überlebt hat. Und der einzige, der nach dem Zweiten Weltkrieg noch diesen besonderen Namen trug: »Papirblat«. Mein Name ist ein Denkmal, pflegt er zu sagen. Mittlerweile ist die Papirblat-Familie gewachsen: Mordechai hat zwei Söhne, drei Enkel und seit kurzem sogar zwei Urenkel!

Trotz der langen Zeit, die wir bei Papirblats waren, hatten wir den Eindruck, es würde noch unglaublich viel zu erfahren geben. Mordechai und Zvi waren gerne bereit, sich mit uns noch einmal für den darauffolgenden Abend zu einem weiteren Besuch zu verabreden.

Thorsten und ich ließen den Tag im malerischen Sarona-Viertel ausklingen, einer ehemaligen Templer-Kolonie. Dort aßen wir neben einem Mc Donalds und zwischen vielen Hochhäusern leckeres Fladenbrot mit Humus.

Am Dienstag ging es früh los, über die neue Zugverbindung hinauf nach Jerusalem, dann um die Altstadt herum mit dem Bus zur Davidstadt, dorthin wo in Israel alles begann.

Schnell Eintritt bezahlt, die nötige Ausrüstung in die Taschen gesteckt und den Rest ins Schließfach. Dann ohne weitere Verzögerung zum Eingang des unterirdischen Bereichs und zügig zum Hiskiatunnel. Als allererste waren wir dort und hatten im Tunnel genügend Zeit für ein paar Nachuntersuchungen: Ein Blindstollen, der Zusammenschluss in der Mitte des Tunnels, ein Schacht am Ende, der Ausgangsbereich: Hier hatten wir – quasi im Auftrag von Ulrich Romberg (siehe »Expedition mit Tunnelblick«) – noch ein paar Messungen und Untersuchungen an den Wänden vorzunehmen: Spuren der Werkzeuge, Kalkausblühungen, Putzreste. Einige neue Beobachtungen und Bilder – zum Teil nur mit UV-Licht fotografiert – werden in nächstet Zeit zu verwerten sein.

Nach dem Ausstieg aus dem Tunnel ging es wieder hinauf zum Eingang, um unser Gepäck zu holen. Auf einen zweiten Durchgang durch den Warrenschacht, bei dem wir durch den (trockenen) Kanal 2 hindurch wollten, verzichteten wir wegen des inzwischen sehr groß gewordenen Andrangs. Wir stiegen außerhalb die Treppe hinab zum Quellgebäude und dann durch das Kidrontal hinunter zum Siloahteich. Von dort dann durch den Entwässerungskanal aus der Zeit Jesu hinauf Richtung Altstadt.

Wir schlenderten zur Klagemauer, dann durch das muslimische Viertel: von einer Treppe aus ein kurzer Blick zum Felsendom, weiter ließen uns die schwerbewaffneten Polizisten an dieser Stelle nicht. Durch den Shuk querten wir die Via Dolorosa, bevor wir die Altstadt durch das Damaskustor verließen.

Pünktlich kamen wir mit der neuen Straßenbahn an der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem an, wo wir um 14.30 Uhr einen Termin mit einer deutschen Mitarbeiterin im European Department hatten. Wir tauschten uns aus über Holocaust-Didaktik und gewannen wertvolle Erfahrungen aus der Arbeit in dieser bemerkenswerten Einrichtung. Es blieb dann noch kurz Zeit für den Besuch der Ausstellung, der Kinder-Gedenkstätte, des Kunstmuseums und der »Allee der Gerechten«.

Schon mussten wir uns auf den Rückweg nach Tel Aviv machen, wo wir am Abend ein weiteres Mal Mordechai Papirblat besuchen konnten. Zu einigen Details hatte Thorsten noch weitere Fragen aufgeschrieben, die der alte Mann geduldig und mit wachem Geist beantwortete. Diesmal hielten wir den Besuch natürlich kürzer, nach etwas mehr als einer Stunde verabschiedeten wir uns endgültig.

Den letzten halben Tag am Mittwochvormittag nutzten wir zu einer Ausfahrt an den Strand und einem Spaziergang nach Jaffa, wo ich selbst noch nie war. Erst nun, während meines neunten Aufenthalts in Israel, besuchte ich die alte Hafenstadt, von wo Jona auf einem Schiff Richtung Tarsis floh, um Gottes Auftrag zu entkommen. Ein Brunnen erinnert an den großen Fisch, der ihn verschluckte und wieder an Land spuckte. Aus frischgepressten Jaffa-Orangen trank ich quasi am Originalschauplatz den besten Orangensaft meines Lebens.

Und dann, nach der Mittagszeit, verließen wir schwitzend das heiße Israel und flogen zurück in die deutlich kühlere Heimat.

3 Gedanken zu „Vier Tage auf der Suche nach Spuren der Vergangenheit“

  1. Tnx for this report. It was intersting BUT I have one rejection… As far as I read there has been no message or mentioning of Yeshua, salvation and forgiving. The Holocaust has been a tragedy for our people but loving us is giving in return a message of our resurrected Lord. By not doing so you missed out the option to speak out His mame to hundreds and thousands of ones in need. Just a thought…

    1. Dear Steve, as German Christians we don’t think it is our mission to tell Jews about Jesus. It’s our mission to remember and live solidarity to the Jewish people and the state of Israel.

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