Der 9. November 2024

»Nach dem Krieg hat man sich auf ein ›konstruktives Vergessen‹ geeinigt«, schreibt Gabriel Stängle in seinem neuen Buch »Hier gilt der deutsche Gruß!«, das er mit seinen Schülern der Christiane-Herzog-Realschule Nagold erarbeitet hat und das vor wenigen Tagen als Band 6 in der »Edition Papierblatt« erschienen ist. Über manche Aspekte unserer regionalen Nazi-Vergangenheit hat man in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg Gras wachsen lassen, »das Leben musste ja irgendwie weitergehen«. Alte Gräben und Wunden blieben unter der Oberfläche offen und verheilten nie.

Sollte man Erinnerungsarbeit irgendwann einmal beenden oder ist sie wichtiger denn je? Wenn man sich die Entwicklungen in Deutschland, Europa und Amerika seit dem 7. Oktober 2023 anschaut und die letzten Ereignisse an Unis und bei Fußballspielen, kann man für einen Moment entsetzt zusammenzucken, dann wegschauen und sich wieder anderen Themen zuwenden. Jüdische Deutsche und israelische Gäste können das schon lange nicht mehr. Sie fühlen sich nicht mehr sicher. Manche europäische Juden erwägen, nach Israel auszuwandern, oder sind schon gegangen.

Der Staat Israel als Zufluchtsort der Juden in aller Welt ist unverzichtbar. Das sollte jedem klar sein, der an Tagen wie heute – dem 86. Jahrestag der sogenannten »Reichskristallnacht« Stolpersteine und Gedenkstätten besucht, Lichterketten bildet und »Nie wieder« oder »We remember« ruft. Wir dürfen nicht nur an die toten Juden denken, sondern müssen aktiv werden, damit jüdisches Leben in Europa möglich bleibt! Und dass ein wehrhafter Staat Israel, der von feindlichen Nachbarn bedroht und beschossen wird, Solidarität erfährt. Von Europa aus dürfen wir nicht oberlehrerhaft kundtun, wie Terrorismus zu bekämpfen ist und wie eine rechtsstaatliche Regierung auszusehen hat. Darüber diskutieren die Israelis schon selber.

Wir sollten lieber bei uns den antidemokratischen und israelfeindlichen Strömungen wehren. Und uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass Antisemitismus ein gigantisches Phänomen ist, nicht nur, wenn man ihn nach der 3-D-Regel definiert: Israel wird delegitimiert und dämonisiert; Im Vergleich zu anderen Ländern wird Israel nach Doppelstandards beurteilt und verurteilt. Israel zieht vor allem deshalb Hass auf sich, weil es ein jüdischer Staat ist. Und allzuoft werden Juden aus aller Welt für das Handeln des israelischen Militärs unmittelbar verantwortlich gemacht. So wie vor über 80 Jahren die Juden schuld am Unglück der Welt waren, ist es heute der Staat Israel oder die sogenannten »Zionisten«.

Vor einem Jahr haben wir am 9. November eine denkwürdige Veranstaltung mit Fredy Kahn und Franziska Becker durchgeführt, die ich moderieren durfte: Es ging um die jüdische Vergangenheit des Dorfes Baisingen und um die Aufarbeitung der Ereignisse der Nazizeit. Und wir gedachten der Opfer des Massakers vom 7. Oktober und beteten für die Geiseln. Einige von ihnen sind immer noch nicht zurückgekehrt. Und der Krieg im Nahen Osten geht weiter. Unzählige Menschen leiden.

Was hat die Welt aus der Vergangenheit gelernt? Viel zu wenig. Deshalb müssen wir weiter daran erinnern, unsere jüdischen Mitbürger unterstützen und dankbar sein, dass der Staat Israel seit über 76 Jahren existiert – als Zeichen der »einzigartigen Treue Gottes«. So heißt es im Untertitel unseres Films »Schalom75«, der in den letzten eineinhalb Jahren sehr oft gezeigt werden konnte. Ich persönlich durfte zahlreiche Vorträge halten und wertvolle Gespräche führen.

Am heutigen Tag ist der Terminkalender leer geblieben. Wir stecken bereits mitten in den Vorbereitungen zu einer wichtigen Veranstaltung, die wir am 27. Januar 2025 im Neuen Schloss in Stuttgart mitgestalten dürfen und an der wir unsere neue Ausstellung »Holocaust gezeichnet« präsentieren: Den Holocaustgedenktag genau 80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Wir sind sehr dankbar, dass dies möglich sein wird, aktuelle Informationen gibt es auf www.papierblatt.de.

Herzliche Einladung auch zu den Buchvorstellungsterminen ab dem 16.11.2024 mit Gabriel Stängle und seinen Schülern.

Nie wieder ist jetzt – am Israel chai!
Timo Roller

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